Corona-Andacht: Vertrauen auf Barmherzigkeit

Europe a Prophecy – Von William Blake – https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1859-0625-72, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27197029

„Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet 

und ver­trauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, 

sondern auf dei­ne große Barmherzigkeit.“

(Dan 9, 18b)

Noch immer feiern wir Ostern! Die österliche Feststimmung lässt sich ablesen an den Namen, die den Sonntagen nach dem Osterfest mal beigelegt wur­den, festliche Namen wie „Jubilate“ – „Jauchzt!“ und „Kantate“ – „Singt!“. Der Sonntag „Rogate“ – „Bittet!“ oder schlicht „Fragt!“ setzt nun aber in der sonst so freudigen Osterfestzeit mit diesem Vers aus dem sogenannten Bußgebet des Propheten Daniel plötzlich einen beschaulichen Akzent. 

Das Buch Daniel erzählt rückblickend von den Bedrängnissen der Judäer in der Zeit des Babyloni­schen Exils und ihrer wunderbaren Errettung, um die Menschen seiner eigenen Zeit mit diesen Ge­schichten zu ermutigen, an ihrem Glauben festzuhalten, dem Glau­ben an den einen Gott, der die Welt geschaffen hat und alles was darinnen ist und der diese Welt erhält. In Babylon damals mach­ten sie Bekanntschaft mit der mesopotamischen Götterwelt. Für die Menschen in jener Zeit, als das Danielbuch verfasst wurde, hat sich seitdem eigent­lich wenig verändert. Griechische Eroberer ha­ben sogar den Tempel in Jerusalem, der ja dem Gott Isra­els gewidmet war, an Zeus, dem Obergott des grie­chischen Pantheons umgewidmet. Alles liegt danieder.

Und nun fragt Daniel nach: Wie konnte es so kom­men? Was ist falsch gelaufen? Er stößt dabei auf unangenehme Wahr­heiten. „Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrün­nig geworden.“ Daniel  bekennt, dass die Ursachen des Un­glücks in der Sünde liegen, darin, die Rechnung im­mer ohne Gott machen zu wollen, darin,  sich um Gottes Wille nicht zu scheren. Mit dieser gewonnenen Erkenntnis wendet er sich nun Gott zu, denn er weiß: „Bei dem Herrn, unserem Gott, ist die Barmherzigkeit und die Vergebung.“ Daraus spricht nicht die Hoff­nung, dass Gott wohl ein Auge zudrücken wird und ansonsten alles beim Alten gelassen werden kann. Vergebung heißt nicht, wisch und weg und weiter so! Denn wo von Ver­gebung gesprochen wird, ist auch Verände­rung angesagt. Vergebung beruht auf  der in Gott begründeten Hoffnung, dass unse­re Vergangen­heit unsere Zukunft nicht zerstören wird, dass ein Wendepunkt tatsächlich möglich ist. 

„Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und ver­trauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf dei­ne große Barmherzigkeit.“ Es sind wohlgemerkt nicht die eigenen Werken, die eigene Gerechtig­keit, die die Barmherzigkeit Gottes auf den Plan rufen und diesen Wendepunkt bewirken werden. Das macht diese alttestamentliche Stelle ge­rade für uns Christen und Christinnen so interessant, da uns doch lange Zeit gelehrt wurde, in Luthers Nachfolge lauter Werkgerechtigkeit im sogenann­ten Alten Bund zu erkennen. Im Alten Testament das Gesetz und Errettung durch Werke, im Neuen Testament das Evan­gelium und die Errettung durch den Glauben. So ist es aber offenkundig nicht! Daniel beruft sich hier ausdrück­lich auf Gottes Barmherzigkeit. Und nicht weil die weggeführten Judäer sich diese verdient hätten, denn Daniels Sündenbekenntnis, so wie die vielen anderen im Alten Testament, ist eindeutig, son­dern unter Berufung auf den Namen Gottes, auf den Namen, den er, Gott, sich gemacht hat, als er sein Volk befreite und sich zu ihrem Gott machte. Nur aufgrund dieses Namens vertraut Daniel sich und sein Volk der Barmherzigkeit Gottes an, das heißt, weil Gott der ist, der er ist, wagt Daniel es, um Gottes Barmherzigkeit zu fragen, und gerade nicht aufgrund der eigenen Gerechtigkeit, der eigenen Werke.

„Fragt!“ Sollte es darum diesen Sonntag „Rogate“ in der öster­lichen Festzeit geben, weil die Bot­schaft vom Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus uns, die wir ja nun nicht zum Volk Israel gehören, trotzdem den Zugang zum Gott Israels, zum einen Gott des Himmels und der Erde, eröffnet hat? Wie Daniel nicht vertrauend auf unsere eigene Gerechtigkeit, sondern auf Gottes gro­ße Barmherzigkeit können wir uns im Gebet in Jesu Namen zu ihm wenden: fragend, erkennend, hö­rend, umkehrend, in der Hoffnung, dass unsere Vergangenheit unsere Zukunft nicht zerstört, und im Vertrauen darauf, dass die Zusagen aus der Vergangenheit sich erfüllen.

Pfarrer Tijmen Aukes