
„Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet
und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit,
sondern auf deine große Barmherzigkeit.“
(Dan 9, 18b)
Noch immer feiern wir Ostern! Die österliche Feststimmung lässt sich ablesen an den Namen, die den Sonntagen nach dem Osterfest mal beigelegt wurden, festliche Namen wie „Jubilate“ – „Jauchzt!“ und „Kantate“ – „Singt!“. Der Sonntag „Rogate“ – „Bittet!“ oder schlicht „Fragt!“ setzt nun aber in der sonst so freudigen Osterfestzeit mit diesem Vers aus dem sogenannten Bußgebet des Propheten Daniel plötzlich einen beschaulichen Akzent.
Das Buch Daniel erzählt rückblickend von den Bedrängnissen der Judäer in der Zeit des Babylonischen Exils und ihrer wunderbaren Errettung, um die Menschen seiner eigenen Zeit mit diesen Geschichten zu ermutigen, an ihrem Glauben festzuhalten, dem Glauben an den einen Gott, der die Welt geschaffen hat und alles was darinnen ist und der diese Welt erhält. In Babylon damals machten sie Bekanntschaft mit der mesopotamischen Götterwelt. Für die Menschen in jener Zeit, als das Danielbuch verfasst wurde, hat sich seitdem eigentlich wenig verändert. Griechische Eroberer haben sogar den Tempel in Jerusalem, der ja dem Gott Israels gewidmet war, an Zeus, dem Obergott des griechischen Pantheons umgewidmet. Alles liegt danieder.
Und nun fragt Daniel nach: Wie konnte es so kommen? Was ist falsch gelaufen? Er stößt dabei auf unangenehme Wahrheiten. „Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und abtrünnig geworden.“ Daniel bekennt, dass die Ursachen des Unglücks in der Sünde liegen, darin, die Rechnung immer ohne Gott machen zu wollen, darin, sich um Gottes Wille nicht zu scheren. Mit dieser gewonnenen Erkenntnis wendet er sich nun Gott zu, denn er weiß: „Bei dem Herrn, unserem Gott, ist die Barmherzigkeit und die Vergebung.“ Daraus spricht nicht die Hoffnung, dass Gott wohl ein Auge zudrücken wird und ansonsten alles beim Alten gelassen werden kann. Vergebung heißt nicht, wisch und weg und weiter so! Denn wo von Vergebung gesprochen wird, ist auch Veränderung angesagt. Vergebung beruht auf der in Gott begründeten Hoffnung, dass unsere Vergangenheit unsere Zukunft nicht zerstören wird, dass ein Wendepunkt tatsächlich möglich ist.
„Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ Es sind wohlgemerkt nicht die eigenen Werken, die eigene Gerechtigkeit, die die Barmherzigkeit Gottes auf den Plan rufen und diesen Wendepunkt bewirken werden. Das macht diese alttestamentliche Stelle gerade für uns Christen und Christinnen so interessant, da uns doch lange Zeit gelehrt wurde, in Luthers Nachfolge lauter Werkgerechtigkeit im sogenannten Alten Bund zu erkennen. Im Alten Testament das Gesetz und Errettung durch Werke, im Neuen Testament das Evangelium und die Errettung durch den Glauben. So ist es aber offenkundig nicht! Daniel beruft sich hier ausdrücklich auf Gottes Barmherzigkeit. Und nicht weil die weggeführten Judäer sich diese verdient hätten, denn Daniels Sündenbekenntnis, so wie die vielen anderen im Alten Testament, ist eindeutig, sondern unter Berufung auf den Namen Gottes, auf den Namen, den er, Gott, sich gemacht hat, als er sein Volk befreite und sich zu ihrem Gott machte. Nur aufgrund dieses Namens vertraut Daniel sich und sein Volk der Barmherzigkeit Gottes an, das heißt, weil Gott der ist, der er ist, wagt Daniel es, um Gottes Barmherzigkeit zu fragen, und gerade nicht aufgrund der eigenen Gerechtigkeit, der eigenen Werke.
„Fragt!“ Sollte es darum diesen Sonntag „Rogate“ in der österlichen Festzeit geben, weil die Botschaft vom Tod und Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus uns, die wir ja nun nicht zum Volk Israel gehören, trotzdem den Zugang zum Gott Israels, zum einen Gott des Himmels und der Erde, eröffnet hat? Wie Daniel nicht vertrauend auf unsere eigene Gerechtigkeit, sondern auf Gottes große Barmherzigkeit können wir uns im Gebet in Jesu Namen zu ihm wenden: fragend, erkennend, hörend, umkehrend, in der Hoffnung, dass unsere Vergangenheit unsere Zukunft nicht zerstört, und im Vertrauen darauf, dass die Zusagen aus der Vergangenheit sich erfüllen.
Pfarrer Tijmen Aukes