Corona-Andacht: Wenn Jesus mitten in die Isolation tritt

Von Photo: Andreas Praefcke – Selbst fotografiert, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2142041

Am Abend dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt waren und die Türen aus Furcht verschlossen hatten, da kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: (…) „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. (…) Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ (Johannesevangelium 20, 19-23 in Auswahl)

Ein paar Gedanken aus der Predigt vom 11. April:

Manchmal wollen Menschen einfach nicht raus, sondern sich einschließen und niemanden sehen oder sprechen. Denn so schlecht wie mir geht es ja sonst keinem, und außerdem interessiert sich sowieso niemand für mich. Das passt ja übrigens sogar ganz gut zu den gegenwärtigen Kontaktbeschränkungen…

So ähnlich haben sich wohl die Jünger Jesu am Ostermorgen gefühlt, bevor Jesus selbst durch die verschlossene Tür zu ihnen kommt. Resignation und vor allem Selbstmitleid helfen jedoch kein Stück weiter. Was Jesus sagt, das darf nicht in geschlossenen Räumen bleiben: „Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Ein unglaublicher Satz, der die Jünger und uns als ihre Nachfolger in eine riesige Verantwortung nimmt. Wie soll das gehen, jemandem die Schuld zu vergeben? Wenn Jesus das aussprach, dann konnte jemand wieder sehen oder laufen, war nicht mehr einsam oder wurde satt. Dürfen wir das auch so sagen? Können wir das? Trauen wir uns das eigentlich? Denn wird man dabei nicht völlig ausgenutzt von den „Schuldigen“? Erst einmal ist wichtig, dass diese Aussage niemals einfach nur so dahin gesagt werden kann. Wenn ich jemandem zuspreche „Deine Schuld ist dir vergeben“, dann muss das auch so sein, und in meinem Hinterkopf dürfen keine Zweifel sein. Was vergeben ist, das bleibt vergeben, und ich kann nicht 14 Tage später denken oder sagen „War ja eigentlich klar, hätt‘ ich besser nicht gemacht; war wohl ein Fehler mit dem Vergeben…“ Wenn es nicht gelingt, das auch zu tun, was gesagt wird, dann nützt auch das Aussprechen der Vergebung nichts, denn dann bleibt die zweite Satzhälfte gültig: „Welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.“ Oft wird leider übersehen, dass die Menschen, denen Schuld vergeben wird, auch eine Aufgabe haben, nämlich die Vergebung zu akzeptieren, und „hinfort nicht mehr zu sündigen“ – wie Jesus es ausgedrückt hat. Das reduziert die Gefahr des Ausgenutzt-Werdens.

Jesus möchte in dieser Osterbegegnung Mut machen, die Chancen des Vergebens auch ohne seine direkte Nähe auszuprobieren, sich mit Menschen abzugeben, und sich nicht aus Angst oder Abneigung vor ihnen einzuschließen. Christen werden immer da in besonderer Weise wahrgenommen und gebraucht, wo Krisen sind, wo Leid ist, wo Krankheit und Tod drohen; um da zu zeigen, dass es seit Ostern Kraft gibt zum Standhalten und zum Durchhalten. – Sogar im Lockdown. Vielleicht müssen wir einlösen, was Gesundheitsminister Spahn vor einigen Monaten sagte: „Wir werden uns viel zu vergeben haben“.

Ihr Pfarrer i. R. Wolfgang Tereick