Andacht zur Jahreslosung: Werdet barmherzig!

Jahreslosung 2021: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Luk 636)

Gefühlt noch am Anfang des neuen Jahres (die coronabedingte Verlangsamung des Lebens wirkt sich schon auf mein Zeitempfinden aus) schaue ich auf die Jahreslosung dieses Jahres 2021 und überlege, was mir mit ihr mit auf den Weg durch dieses Jahr gegeben wird. Sie ist ja tatsächlich eine Aufforderung, einen Weg, einen bestimmten Weg einzuschlagen.

Das erste Wort kann nämlich auch mit „Werdet“ übersetzt werden. Werdet barmherzig! Wenn ich es jetzt noch nicht bin, traut der Bibeltext mir jedenfalls zu, in Zukunft barmherzig zu werden. Um es zu werden, soll ich mich in Bewegung setzen, mich bewegen lassen. Ich soll mich dazu bewegen lassen, barmherzig zu werden zu meiner Umgebung, zu den Menschen um mich herum, von denen viele wegen dem stark eingeschränkten sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben Spannungen, Konflikten und Ängsten ausgesetzt sind; barmherzig zu den Politikerinnen und Verwaltern, die unter gewaltigem Druck versuchen müssen, mit zum Teil widersprüchlichen Kommentaren, Argumenten und Perspektiven fertig zu werden und zu-gleich funktionierende Netzwerke einer gerechten Existenzhilfe und annehmbare Impf-strategien aufzubauen; barmherzig auch zu mir selbst, die ich müde wahrnehme wie die Welt um mich zusammenzieht und auch meine eigene kleine Welt sich verschließt.

Werdet barmherzig! Gerade jetzt ist eine Haltung gefragt, die sich auf Mitmenschen einlässt, die versucht, sorgsam mit ihnen umzugehen, die Respekt und Würdigung anstrebt. Jesus macht keinen Hehl daraus, dass diese zu übende Barmherzigkeit ausnahmslos allen Menschen gilt. Die Jahreslosung schließt wie ein Resümee den Abschnitt, in dem von Jesu Gebot der Feindesliebe, vom Kern seines Evangeliums, die Rede ist, davon, jedem zu geben, der dich bittet, davon, Gutes zu tun, und davon, zu verleihen, „ohne etwas wieder zu erhoffen!“ „Werdet barmherzig!“

Ich spüre, dass da bei mir noch Luft nach oben ist. Warum sollte ich aber diesen Weg einschlagen, den Weg der Barmherzigkeit? Die Jahreslosung gibt im Grunde ein Glaubensbekenntnis als Antwort. Wenn ich glaube, dass Gott barmherzig ist, dann liegt es nahe, es ihm gleich zu tun. Das klingt vielleicht vermessen, aber auch der Apostel Paulus ruft ohne Umschweife dazu auf: „Seid (kann auch hier wieder als „werdet“ gelesen werden) nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder!“ (Eph 51). Wenn ich glaube, dass Gott barmherzig ist, er Sünden vergibt, er gütig ist auch gegen Undankbaren und Bösen (Luk 635), allen das Leben schenkt, dass seine Barmherzigkeit auchseiner Schöpfung innewohnt und sie instand hält, dann – so die Jahreslosung – lass diesen Glauben auch in deinem Handeln aufscheinen. Dieses Glaubensbekenntnis des barmherzigen Gottes steht gegen alle anderen Glaubensbekenntnisse unserer Welt, die Menschen ihrem Handeln zugrunde legen: Leistung, Wachstum, Überlegenheit, Stärke, Reichtum …

Die Jahreslosung enthält also weniger ein Gebot, dem ich mir vielleicht widerwillig zu fügen hätte, sondern viel mehr die Ermunterung, genau das zu tun, was ich glaube, das für das Leben wichtig ist, dass „wie wir wollen, dass uns die Menschen tun sollen, wir ihnen ebenso tun.“ (Luk 631). Oder, wie Jesus es an anderer Stelle sagt: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ (Matth 57)

Pfarrer i.R. Tijmen Aukes